Wannseekonferenz

Wannseekonferenz
I
Wạnnseekonferenz,
 
Bezeichnung für eine am 20. 1. 1942 abgehaltene Besprechung von 15 hohen Beamten der obersten Reichs-, NSDAP- und SS-Behörden des nationalsozialistischen Deutschlands unter dem Vorsitz R. Heydrichs in Berlin-Zehlendorf in einem Gästehaus des Sicherheitsdienstes der SS (SD) in der Straße »Am Großen Wannsee 56-58« (seit Januar 1992 Gedenkstätte »Haus der Wannseekonferenz«). Zweck der Konferenz war, den Teilnehmern zu verdeutlichen, dass die »Endlösung der Judenfrage«, mit deren Planung Heydrich auf sein eigenes Verlangen hin am 31. 7. 1941 von H. Göring offiziell beauftragt worden war, ausschließlich Heydrichs und Himmlers Befugnis unterlag; vorrangig sollte aber durch direkte Unterrichtung über die Vernichtungspläne (Deportation nach Osten und letztlich Tötung) die reibungslose Zusammenarbeit der beteiligten Dienststellen gesichert werden, die für einen störungsfreien Fortgang des systematischen Massenmords an den europäischen Juden nötig war. Ferner machten die Teilnehmer der Wannseekonferenz ihre grundsätzliche Bereitschaft deutlich, den von den Nürnberger Gesetzen betroffenen Personenkreis um so genannte Halb- beziehungsweise Vierteljuden sowie Juden in »Mischehen« zu erweitern und diese damit ebenfalls der Verfolgung und physischen Vernichtung preiszugeben; eine gemeinsame Entschließung kam jedoch nicht zustande.
 
Die Wannseekonferenz fand zu einem Zeitpunkt statt, als der Völkermord an den Juden im Osten durch die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, der unmittelbar nach dem Angriff auf die Sowjetunion (22. 6. 1941 begonnen hatte, in vollem Gange war und das erste Vernichtungslager bereits seine Tätigkeit (ab Dezember 1941) aufgenommen hatte. Auf der Wannseekonferenz wurde mithin nicht der Beschluss zum Holocaust gefasst; sie war vielmehr Teil der Maßnahmen zur administrativen Umsetzung der grundsätzlichen Entscheidung zur Vernichtung der europäischen Juden, die bereits während der Vorbereitungen zum Krieg gegen die Sowjetunion durch A. Hitler gefallen war. - Das Wissen über Verlauf und Ergebnisse der Wannseekonferenz stützt sich v. a. auf das von A. Eichmann angefertigte »Besprechungsprotokoll«, das 1947 in den Akten des Auswärtigen Amtes gefunden wurde; zu diesem »Schlüsseldokument zum Holocaust« (von dessen Leugnern häufig als Fälschung hingestellt) kommen diverse Notizen und nachträgliche Aussagen von Teilnehmern (v. a. im Prozess gegen Eichmann 1961 in Jerusalem) sowie Aktenvermerke.
 
 
Der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg. Entschlußbildung u. Verwirklichung, hg. v. E. Jäckel u. a. (Neuausg. 1987);
 K. Pätzold u. E. Schwarz: Tagesordnung: Judenmord. Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 (41998).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Holocaust: Die rassistische Vernichtungspolitik Deutschlands
 
II
Wannseekonferenz
 
Hitler hatte schon in seinem Bekenntnisbuch »Mein Kampf« seine Absicht kundgetan, im Falle einer Machtübernahme eines Tages das Judentum aus dem deutschen Volksleben »auszumerzen«. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte er wiederholt diesen Plan als unverrückbares Ziel bezeichnet. In Deutschland und nach dem Anschluss auch in Österreich war schon vor dem Krieg die Zahl der jüdischen Bürger infolge der ständigen Diffamierungen und Demütigungen nach Erlass der Nürnberger Gesetze, schließlich nach dem Judenpogrom des 9. November 1938, der Reichskristallnacht, durch Auswanderung, die sich allmählich zur Massenflucht ausweitete, um mehr als die Hälfte vermindert worden. Mit Kriegsbeginn steigerten sich die Drangsalierungen jüdischer Menschen zu brutalen Terrormaßnahmen, besonders in den besetzten Ostgebieten, wo Himmlers berüchtigte Einsatzgruppen die jüdische Bevölkerung in Ghettos zusammentrieben und durch Massenexekutionen dezimierten.
 
Die letzte und höchste Steigerung der unmenschlichen Barbarisierung begann mit dem Russlandfeldzug (siehe auch Weltkrieg, Zweiter: Feldzug im Osten), den Hitler zum »Weltanschauungskrieg« gegen das »jüdisch-bolschewistische Untermenschentum« erklärt hatte. Jetzt wurde auch der ursprüngliche Plan, die europäischen Juden geschlossen nach Madagaskar umzusiedeln, zugunsten der Deportation in den Ostraum aufgegeben. Im Auftrage Hitlers wies Göring am 31. Juli 1941 den SS-Gruppenführer und Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard Heydrich, die rechte Hand Himmlers, an, eine Gesamtplanung für die »Endlösung der Judenfrage« zu erstellen. Heydrich erläuterte seinen Plan am 20. Januar 1942 den Vertretern derjenigen Reichsministerien und obersten Parteidienststellen, die in irgendeiner Form mit dieser Aktion befasst waren. Das Protokoll dieser Wannseekonferenz entstammt den Aufzeichnungen des SS-Sturmbannführers Eichmann.
 
Heydrich entwickelte in bürokratischer Tarnsprache sein Vorhaben. Die im Herrschaftsbereich der SS liegenden europäischen Länder sollten systematisch »gesäubert« werden, die Juden »in geeigneter Weise im Osten zum Einsatz kommen«, wobei schon einkalkuliert wurde, dass dabei »zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.« Der übrig bleibende Teil »wird entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.« Mit dieser grausam-nüchternen Amtssprache war eindeutig die Ausrottung, auch die der Kinder, vorprogrammiert. Schwerbeschädigte und Weltkriegsteilnehmer mit Auszeichnungen sollten von diesen Deportationen ausgenommen und in Altersghettos eingewiesen werden. Diese scheinheilige Maßnahme sollte nach Heydrichs Worten »mit einem Schlage die vielen Interventionen« ausschalten. Eichmann erhielt den Auftrag, die bürokratisch-technischen Vorarbeiten zu leisten. Niemand von den anwesenden Behördenvertretern erhob Widerspruch. Auf der Wannseekonferenz waren damit die organisatorisch-technischen Voraussetzungen für den größten Völkermord der Weltgeschichte geschaffen worden.

Universal-Lexikon. 2012.

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